Bei der deutschen Vorausscheidung zum Eurovision Song Contest leer auszugehen,
war 2004 durchaus als Adelsprädikat zu werten, denn die Leistungen waren bis
auf Ausnahmen ansprechend. Die Professionalisierung des Starterfeldes hat hier
einen deutlichen Qualitätsschub gebracht. In Österreich war schon alleine die
Teilnahme ein Schlag in die Magengrube der hoffnungsvollen Aspiranten. Der ORF
hat wieder eindrücklich bewiesen, dass er mit Musik nicht umzugehen weiß, und
dass die Sendung der Vorausscheidung mit nun schon lähmender Regelmäßigkeit
von Jahr zu Jahr schlechter wird, und von drittklassigen Gagschreibern und ständigen
Moderatorenrochaden nur immer kranker kuriert wird. Die Details zu dieser erbärmlichen
"Show", die von einigen wenigen im Raum postierten Steh-Zuschauern
brav beklatscht wurde, sind im nachbetrachtenden Kurier-Kommentar von Dietmar
Pribil erfüllend und unterhaltend nachzulesen.
In Deutschland hat man - im Auftrag des NDR - die Zeichen der Zeit erkannt und
die Startplätze von Seiten der Plattenfirmen mit teilweise bereits goldprämierten
Künstlern der jüngeren Generation besetzt, auch der Trend zur
deutschsprachigen Pop-Musik schlug sich in fünf Beiträgen nieder, während in
Österreich sich nur eine Band in ihrer Muttersprache artikulierte -
interessanterweise trug sie den Sieg davon und pikanterweise den Vorwurf des
Plagiats obendrein.
Opener der in der ARD mit viel Tamtam und Professionalität ausgestrahlten Show
"Germany 12 Points" war Patrick Nuo, der mit stimmlicher Souveränität
den jugendlichen Pop-Beau des Mainstream durchaus glaubhaft zu geben verstand.
MIA blieben eine Spur farblos und litten sichtlich darunter, dass "Wir sind
Helden" den deutschsprachigen Alternative Pop zur Zeit qualitativ und
erfolgsmäßig (vier Echos) haushoch in Alleinvertretung anführen.Sabrina Setlur - von der lieben und teilweise nervigen Sarah Kuttner
(Moderation) für ihr beeindruckendes Dekolletee gelobt, blieb abseits dieser
optischen Optimierungsübung so ziemlich alles schuldig: Von einer
"deutschen Hip Hop Königin" war nichts zu bemerken, nur die immer
gleichen Pelham'schen Textphrasen und Soundtexturen füllten die kostbare
Vortragszeit.
Laith Al-Deen punktete wie gewohnt mit seinen stimmlichen Qualitäten.
Ihm bleibt aber selbst als goldenem Mainstream-Künstler aufgrund seiner
Formatradio tauglich gemachten, kompressierten Musik ohne Ecken und Kanten die
wirklich breite Masse der Hörerschaft verschlossen.
Scooter machten Party und punkteten abseits ihres Beitrages mit
flotten Sprüchen und sympathischer Ausstrahlung - die Botschafter des deutschen
Dance erfüllten ihre Mission bis auf Platz 2!
Overground spulten brav ihre Choreographie ab, konnten auf der
akustischen Ebene aber nur eine eventuelle Ausbaufähigkeit ihres stimmlichen
Potentials andeuten. Ihr Ayman-verdächtiger Happy-Song, der natürlich das
unvermeidliche Wort "Stern" im Titel führen musste ("Der letzte
Stern"), war auch nicht angetan, diese Unzulänglichkeiten
zu retouchieren.
Tina Frank wollte man zu ihrem Song "Ich schenk dir mein
Herz!" lediglich ein herzlich herzhaftes "Bitte nicht!" entgegen
rufen.
Die Westbam-Ansage, einen Song gegen die choreographierte Gesellschaft
zu performen, schien politisch korrekt und verschmitzt zugleich. Die Umsetzung
jedoch geriet in die Bahnen einer unreflektierten Aneinanderreihung von Hip Hop
Kischees - als punktueller, kleiner Aufreger (Westbam & Afrika Islam werden
von der Polizei wohl choreographiert abgeführt) im Reigen der zehn Performances
war es jedoch richtig programmiert.
Bei Wonderwall lagen die Nerven blank, was zu einer schüchternen und
stimmlich wackeligen Vorstellung führte. Ihr Song war leider im negativen Sinne
handgestrickt.
Max (Maximilian Mutzke) kam relaxed in Jeans und schwarzem
Rollkragenpullover und signalisierte schon vor dem ersten Ton, dass er gekommen
war, seine Stimme zu präsentieren und sonst nichts. Vollkommen zu Recht ging er
aus dem Bewerb als Sieger hervor, denn er zeigte die eindringlichste und
engagierteste Gesangsperformance des Abends. Keine Nervosität, kein
Schnickschnack, ein sympathisches Selbstbewusstsein und schließlich das klug,
aber keineswegs revolutionär entworfene "Can't Wait Until Tonight",
getextet und komponiert von Stefan Raab, waren die idealen Zutaten für eine
viel umjubelte Siegervorstellung.
Schlimm für die deutschen Plattenfirmen, dass nicht sie mit ihrer Primärkompetenz
für Künstlervernichtung und drittklassige Casting-Karaoke-Jugendliche es
schafften, den Song Contest zu beschicken, sondern dass es offensichtlich einen
Top-Musiker wie Stefan Raab braucht, der mit einer quotenstarken Fernsehsendung
im Rücken mit einem 22-jährigen Stimmnaturtalent groß abräumt - Hoffnung im
Wahnsinn? Ja, zumindest in Deutschland.
Günther Wildner |